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Gastrosophisches

Der Spritzer und die Geographie 

Das Wesen des Spritzers aber auch zugleich Mitteleuropas wird wohl von niemanden so treffend  umrissen, als wie von Andrei Plesu in seinem grandiosen Aussatz Der G'spritzte und die Geopolitik.

Das Themenfeldder Spritzer als Indikator Mitteleuropas“  weist jedenfalls eine derartige Komplexität auf, weshalb allein aufgrund von Erfahrungswerten bei zahlreichen Feldversuchen aber auch basierend auf Internetrecherchen geographische Schärfungen sinnvoll erscheinen.

Zweifellos befindet sich der Nukleus der Spritzerkultur in Österreich, wo er auch G’spritzter genannt wird und wo die Unterscheidung zwischen „Spritzer“ für das Mischgetränk Wein - Sodawasser und „Mischung“ für Wein - (kohlensäurehaltiges!) Mineralwasser ebenfalls noch gepflegt wird[1]. Diesen Umstand unterstreicht das im Englischen gebräuchliche österreichische Lehnwort „spritzer“ für den in anglophonen Metropolen inzwischen kredenzten Wein-Sodawasser-Cocktail[2].

Jedenfalls eine dem Spritzerland Österreich gleichwertig ebenbürtige Stellung nehmen Slowenien und Ungarn ein. In Slowenien scheinen die meisten Weißweine geradezu für den špricer gekeltert worden zu sein, denn kaum anderwo mundet dieses Erfrischungsgetränk besser als dort. Dementsprechend hlt der špricer zum festen Inventar der slowenischen Trinkkultur. In Ungarn gilt der Spritzer genauso als Fixpunkt, genannt wird er dort „fröccs“ (was übersetzt nichts anderes als Spritzer bedeutet) und serviert wird er in verschiedenen Mischverhältnissen, wobei der (nagy)fröccs (Verhältnis Wein – Wasser: 2:1) bzw. der kisfröccs (Verhältnis Wein – Wasser: 1:1) am gängigsten sind.

Selbstverständlich ist das Spritzertrinken im benachbarten Kroatien, wo er interessanterweise „gemišt“ heißt, und in Serbien, wo für ihn wieder, wie gewohnt, das österreichische Lehnwort „шпицер“ verwendet wird.  Konsequenterweise wird „dazwischen“, also in Bosnien-Herzegowina und „daneben“, also in Montenegro ebenfalls Spritzer getrunken; überraschenderweise kennen ihn im Kosovo nur die dort verbliebenen Serben und strafen ihn die Albaner mit (demonstrativer?) Ignoranz.

Dass sich im alten Jugoslawien zumindest auf kulinarischer Ebene die einzelnen Teilrepubliken gegenseitig befruchtet haben, dürfte jeden kulturell einigermaßen Sensiblen einleuchten: Daher „wanderte“ beispielsweise der im alpinen Raum einst unbekannte Ajvar in die slowenischen Küchen; für die andere Richtung darf der Spritzer als Beispiel gelten, da er in Makedonien sehr wohl bekannt ist (шпицер), während das Mischen von Wein und Wasser in den benachbarten südosteuropäischen Ländern Albanien, Bulgarien und Griechenland auf Unverständnis stößt.

Das interessante Verhältnis der Rumänen zum Spritzer (șpriț) ist schon im eingangs gewürdigten Aufsatz Der G'spritzte und die Geopolitik ausführlich dargestellt worden und bedarf hier keiner weiteren Erörterung.

Nach Osten hin bildet die Westgrenze der ehemaligen Sowjetunion anscheinend einen scharfen Limes für die Spritzerausbreitung. Weder in der Republik Moldau, ein klassisches Weinland, noch in der Westukraine, die sich kulturell doch zu Mitteleuropa hingezogen fühlt, weist das Wein-Wasser-Mischgetränk einen nennenswerten Bekanntheitsgrad auf.

Im Norden Mitteleuropas lässt die Spritzerdichte deutlich nach: Zwar ist er in Tschechien (střík; übersetzt „Spritzer) und in der Slowakei (strik, übersetzt „Spritzer“) durchaus bekannt, in der Gastronomie wird er auf Getränkekarten jedoch nicht all zu häufig angeboten und das Personal reagiert auf eine Bestellung hin und wieder irritiert (was aber auch an dem für nicht-tschechische Zungen unaussprechlichen  Wort „střík “ liegen mag). Aufgrund der Dominanz  der ausgeprägten tschechischen und slowakischen Bierkultur scheint das Spritzertrinken dort (nachvollziehbarerweise) doch nicht jene Relevanz wie bei den südlichen Nachbarn aufzuweisen. In Polen, dem größten Land Mitteleuropas, wird kaum Spritzer mehr getrunken, was wohl auch am Mangel an Weinbaugebieten und der damit wenig ausgeprägten Weinkultur liegt. Immerhin scheint er aber dennoch nicht unbekannt zu sein, denn zumindest bei Wikipedia findet sich ein entsprechender Eintrag unter „szprycer“.

Im Südwesten, dort wo Mitteleuropa irgendwo ohne klare Grenze gegen den Rest von Italien hin versandet, befindet sich ein besonders kurioses Spritzer-Biotop. In Julisch-Venetien und der Friaul wird der „spritz“ ganz unverfälscht als Wein-Wasser-Mischgetränk serviert. Weiter westlich,  im Veneto, kommt etwas Farbe und Alkohol in Form von Aperol, Campari oder ähnlichem dazu. Dieser „spritz Venezian“ soll im letzen Jahrzehnt in ganz Restitalien seinen Siegeszug angetreten haben; jedenfalls gehört dieses Safterl inzwischen zum fixen Angebot jedes italienischen bzw. italophilen gastronomischen Etablissements in Österreich.

Tja, und dann bleibt noch der Nordwesten übrig: „(Wein)Schorle“ nennt sich in deutschländischen Landen das, was diesseits der Kulturgrenze unter Spritzer bekannt ist. Aber was soll man von einem Wort (und deren Verwendern?) halten, bei dem eine geringfügige Buchstabenumstellung unter Weglassung des „e“ Orschl herauskommt? Das fast wie „schal“ klingt? Es darf daher nicht verwundern, dass bei einem solchen Namen der Spritzer bei weitem nicht so verbreitet ist, wie im echten Mitteleuropa (zur Ehrenrettung der Deutschländer muss als Argument für die geringe Verbreitung des Spritzers  die sehr gute Qualität des deutschländischen Bieres genannt werden).

Wenn wir nun unseren Rundgang durch den zentraleren Teil Europas beendet haben, muss einer der Kernaussagen von Andrei Plesu, nämlich das Herausheben des typisch Mitteleuropäischen am Spritzer aus rein räumlich geographischer Sicht unbedingt bestätigt werden: Er wird praktisch in allen Ländern Mitteleuropas getrunken, wobei nach Norden hin, aufgrund des nachlassenden Weinanbaus und der Dominanz des Bieres der Spritzer weniger verbreitet ist als im Zentrum und im Süden. Außerhalb der mitteleuropäischen Länder ist der Spritzer jedenfalls kein Alltagsgetränk und wenn dann nur als leichter metrosexueller Cocktail bekannt. Die einzige Ausnahme stellen große Teile Südosteuropas (Rumänien, Bosnien-Herzegowina, Serbien, Montenegro, Makedonien – und partiell Kosovo) dar, in denen er einen vergleichbaren Stellenwert wie in den benachbarten mitteleuropäischen Ländern aufweist.

Zum Abschluss dieser geographischen Spritzer-Ausschweifungen soll zu diesem Thema eine kleine Übersichtskarte von Europa folgen.

Zum Wohl! Na zdravje! Egészségédre! Živeli! Наздравље! На здравје! Noroc! Na zdraví! Na zdravie! Salute!

 



[1] Die Dipolarität Weißer Spritzer – Roter Spritzer, wie sie vor allem aber nicht nur in Österreich vorhanden ist, ist für die Fragestellung dieses Elaborates von untergeordneter Bedeutung. Es sei nur so viel erwähnt, dass Rotwein sich aufgrund seines Charakters (Tannine, etc.) nicht wirklich zum Spritzen eignet und primär als verzweifelter Versuch, untrinkbares rotes Gschloder, das dereinst in inneralpinen Gräben als Rotwein veräußert wurde, durch  Sprudelwasserzufuhr trinkbar zu machen, eingestuft werden muss. Mehr zu diesem Thema ist hier nachzulesen.

[2] Der Autor dieser Zeilen stolperte in einem Bobo-Beisl inmitten von Vilnius über die an prominenter Stelle beworbene Aufschrift „Spritz“, mit der anscheinend die Urbanität des Lokal unterstrichen werden sollte. Dass diese Bezeichnung wohl nicht direkt aus Österreich sondern mit dem Umweg über den anglophonen Raum in die litauische Metropole gelangt ist, kann aufgrund des metrosexuellen Charakters des Lokales angenommen werden.